Eine intensive Zeit liegt hinter mir. Innert 43 Tagen startete ich an der WM in Dänemark, den World Games in den USA und der EM in Estland. Mit dem Weltmeistertitel im KO-Sprint, den World Games-Medaillen Nummer sieben und acht und der Bronzemedaille an der EM-Staffel darf ich auf einen sehr erfolgreichen Sommer zurückblicken.
In diesem Bericht fokussiere ich mich auf die WM in Dänemark, der ersten Sprint-WM der Geschichte.
Wie bereits in einem früheren Bericht erwähnt, startete meine spezifische Sprintvorbereitung Anfang April. Die Höhenmeter wurden weniger, die OL-Trainings im Wald fielen weg und die Anzahl sprintspezifischer Einheiten erhöhte sich. Einen Sprintkoller verspürte ich nie, obwohl ich OL im Wald bevorzuge. Die Zeitspanne zwischen Tiomila Anfang Mai und dem nächsten Kartenkontakt im Wald im Harriman State Park Anfang Juli war – bedingt durch die Vorbereitung der Sprint-WM – ungewöhnlich lange.
Die WM wurde mit der Sprintstaffel eröffnet. Die Nervosität liess dieses Jahr bei mir lange auf sich warten. Doch zum richtigen Zeitpunkt machte sie sich bemerkbar und der Adrenalinpegel stieg an. Mit hohen Erwartungen standen wir als Team am Start der Sprintstaffel. Die Erwartungshaltung war aus meiner Sicht nicht falsch. Wir starteten mit der gleichen Aufstellung, mit der wir vor Jahresfrist Europameister wurden. Eine Medaille setzten wir uns zum Ziel. Geliebäugelt wurde mit Gold.
Im Einlaufbereich kurz vor dem Start konnte ich das Renngeschehen ein erstes Mal einordnen. Joey lief in der Verfolgergruppe mit, welche bereits einen beträchtlichen Abstand zu Schweden aufwies. Ich machte mich folglich darauf gefasst, dass ich mit einer grösseren Gruppe ca. 20-30 Sekunden hinter Schweden auf meine Strecke gehen würde. Doch leider kam es anders. Das Warten bei der Übergabe wollte nicht enden, ehe ich auf die Strecke geschickt wurde. Mit diesem Szenario hatte ich definitiv nicht gerechnet. Zu Posten 1 hatte ich dann gleich einige Schwierigkeiten. Auch wenn ich mir bewusst war, dass die Technik entscheidend sein würde und ich nicht kopflos die Startposten in Angriff nehmen sollte, so konnte ich einen Zeitverlust zu Beginn nicht verhindern. Ein Grund dafür war, dass ich eine Mauer übersehen hatte und im letzten Moment meine Route noch umplanen musste. Ab Posten drei brachte ich die nötige Ruhe in den Lauf und konnte von den Läufern vor mir profitieren. Ein gutes physisches Gefühl stellte sich nie ein. Es war ein Murks bis zum Ende.
Bei der Übergabe an Elena Roos wusste ich, dass sie eine schwierige Aufgabe von uns vorgesetzt bekam. Auch wenn Elena beherzt kämpfte, so liefen wir stets ein bis zwei Schritte hinter der Medaille her. Das sollte sich bis ins Ziel nicht mehr ändern und Elena sprintete auf Rang vier über die Ziellinie.
Die Enttäuschung war gross. Diese Medaille war von den Buchmachern eingeplant worden. Nun standen wir im Zielraum mit leeren Händen da.
Frust und Freude, besonders bei Grossevents, liegen nahe beieinander. Mit diesen starken Gefühlen umzugehen ist kein Leichtes. Mir blieb ein Ruhetag, um die Emotionen setzen zu lassen und mich für den KO-Sprint neu zu fokussieren. An diesem Ruhetag stellte ich fest, dass ich trotz der Fehler zu Beginn meines Rennens eine gute Zeit auf meiner Ablösung lief. Das gab mir Zuversicht!
Mein zweiter Wettkampf an der WM war der KO-Sprint. Ich konnte auf eine tadellose KO-Vorbereitung zurückblicken. Am Antwerpen Sprint Meeting und am Weltcup in Boras zementierte ich international meine Vorherrschaft in dieser Disziplin. Zudem gewann ich alle KO-Trainings (und das waren einige) im starken Schweizer Team. Wirklich alle?
Nein, beim allerletztes KO-Sprint im WM-TL lief ich, nach einem grossen Fehler zu Beginn, «nur» als zweiter über die Ziellinie. Ich grübelte während den letzten Tagen vor dem KO-Sprint, ob diese erste «Niederlage» ein schlechtes Omen für die WM sein sollte…
Als grosser Favorit anzutreten stresste mich im Vorfeld ein bisschen. Klar wusste ich, dass ich fast immer eine Lösung gefunden hatte, um als erster über die Ziellinie zu gelangen. Aber eine Garantie, dass der Arbeitstag nicht schon viel früher beendet sein könnte, als mir lieb wäre, die hatte ich wahrlich nicht…
Wie sich aber herausstellte, machte ich auch am wichtigsten KO-Rennen der bisherigen OL-Geschichte (darf man glaub schon so sagen…) alles richtig. Ich spielte meine Trümpfe in den entscheidenden Situationen und musste am Ende nicht einmal ein Bubentrickli auspacken.
Die Kurzzusammenfassung der Läufe:
Qualifikation: Ich bin ruhig geblieben bei den heiklen Posten und baute auch mal eine Sicherheitsroute ein. Physisch taktierte ich nicht. Es galt die Maschine ein erstes Mal hochzufahren.
Viertelfinal: Der Start war taktisch (= langsam). Das stresste mich nicht. Ich bereitete die entscheidende Route am Ende des Rennens vor und kickte, sobald ich den Posten vor der letzten langen Route gestempelt hatte.
Halbfinal: Kris Jones sorgte für ein hohes Tempo von Beginn an. Zu Posten 4 hatte ich eine andere Route geplant, wollte aber so früh im Rennen nicht allein laufen. Also schwenkte ich auf die Route der anderen fünf Läufer um. Ab diesem Moment war ich sehr passiv und weit hinten im Feld positioniert. Auf den folgenden Posten verliess ich mich auf die Läufer vor mir. Ich konnte mich gegen Ende des Laufes nach vorne arbeiten und kurz vor Schluss noch nach vorne preschen.
Final: Ich entschied die Routen zu Beginn für mich. Nach dem Überlauf war ich kurz einen Moment passiv, da ich lange keine gute Route zum zweitletzten Posten sah. Als ich den Schluss «aufgelöst» hatte, kickte ich und rannte, was die Beine noch hergaben.
Wie geil das ist, wenn man als führender in Richtung Ziellinie sprintet, das muss ich wohl nicht genauer beschreiben… Für alle die es trotzdem wissen wollen: Sehr geil!
KO-Sprint gefällt mir wegen dem taktischen Element und besonders wegen den Emotionen. Die Emotionen bei einer first-to-finish-Entscheidung nehme ich viel intensiver wahr als bei einem Einzelstart. Aus diesem Grund erinnere ich mich sehr gerne an die Emotionen zurück, die mir dieser Tag bescherte!
Der KO-Tag hinterliess bei mir seine Spuren. Das Adrenalin pumpte bis früh in die Morgenstunden durch meinen Körper, was in einer fast schlaflosen Nacht endete. Meine Muskulatur war am Tag nach dem KO-Sprint am und über dem Limit. 14 Stunden nach dem grossartigen Triumph fühlte ich mich, als sei ich in dieser kurzen Zeitspanne massiv älter geworden.
Der eine Ruhetag war für mich dann auch zu wenig, um die besten Läufer beim Einzelsprint tags darauf fordern zu können.
Es fehlte im Sprintfinal am Speed und sicherlich auch an der mentalen Frische. Der Sprintfinal verzieh nichts von beidem, da die Bahnleger ihren Job sehr gut machten. Mit besseren Routenwahlen wäre ein Diplom im Bereich des Möglichen gewesen. Doch ich hatte meine liebe Mühe mit der fordernden Bahn und sah einige Male die schnellste Option nicht. Im Ziel war ich mit meiner Leistung zufrieden. Sie war solid und brachte mich auf Rang sieben.
Ich habe die Erholungsdauer zwischen KO-Final und Einzelsprint vielleicht ein wenig unterschätzt. Doch ich war mir auch bewusst, dass der KO-Tag deutlich früher zu Ende hätte gehen können. In diesem Falle wäre ich deutlich frischer am Start des Einzelsprints gestanden…
Da ich sowieso einen Fixstartplatz in den beiden Einzeldisziplinen hatte, musste ich mir im Vorfeld nicht die Frage stellen, in welcher Disziplin ich die grösseren Chancen haben könnte und ob ich eine Disziplin auslassen sollte. Dennoch wäre es aus meiner Sicht wünschenswert, wenn der KO-Sprint in Zukunft die letzte Entscheidung an einer WM sein würde!
Abgesehen von meinem Programmwunsch, war die WM ein super Event. Der Veranstalter hat uns spannende Wettkämpfe geboten und technisch eine tadellose Organisation abgeliefert. Für diesen grossartigen Einsatz des OK’s möchte ich mich herzlich bedanken! Die WM in Dänemark war auf der ganzen Linie (vom Modelevent bis zum Bankett) grossartig.
Mein Fanclub mochte die tolle Kulisse vom Veranstalter zu nutzen und sorgte die ganze Woche über für tolle Stimmung. Auch da gebührt ein herzlicher Dank. Mit eurer Unterstützung im Rücken läuft es sich leichter und es macht auch einfach mehr Spass!
Der immense Effort stimmt mich aber auch nachdenklich, wenn ich an die Strategie des Internationalen OL-Verbands denke. Eine Sprint-WM zu organisieren ist wohl das Anspruchsvollste und Aufwändigste, was es im OL-Sport zu organisieren gibt. Wer, wenn nicht die «grossen» OL-Nationen, können eine solche Veranstaltung überhaupt stemmen? Aus meiner Sicht wird es in Zukunft nicht einfacher werden Organisatoren zu finden, geschweige denn mit diesem Format in Länder zu gehen, in denen der OL-Sport noch in den Kinderschuhen steckt. Mit dem Entscheid, die WM und EM jedes Jahr abzuhalten, hat man aus meiner Sicht die Problematik nur verschärft, genügend kompetente Veranstalter zu finden. Auf die resultierende Medaillenflut mit jährlich stattfindender WM und EM möchte ich hier gar nicht weiter eingehen…
Wieso sollte ich auch?
Zum 6. Mal in meiner Karriere bin ich Weltmeister geworden! Es war eine geniale Woche!