Paris retour

Um 10:07:44 Uhr am 07.04.2024 hat für mich eine neue Zeitrechnung in meiner Sportkarriere begonnen (ok, es war vielleicht 10:10 Uhr, weil der geplante Startschuss um 8.00 Uhr in bester französischer Manier ein paar Minuten zu spät erfolgte). Die für mich zu Beginn unvorstellbare Olympialimite knackte ich mit der gelaufenen Zeit von 02:07:44 um 26 Sekunden. Von da an war ich nicht mehr nur der OL-Läufer, der 8-Weltmeistertitel gewonnen hatte, sondern ich war der Mann, der (Zitat): «eine krasse zweinullsiebner Zeit in Paris hingeschmettert hat». Nicht nur in Sportlerkreisen wurde meine Leistung teils mit Bewunderung aufgenommen, insbesondere bei den Medien löste diese Leistung eine für mich neue Dimension der Aufmerksamkeit aus.

Da meine Geschichte x-fach erzählt wurde, verzichte ich hier auf eine weitere Zusammenfassung. Lieber widme ich mich den Fragen, die seit meiner Reise nach Paris an mich herangetragen wurden, die ich aber in der Öffentlichkeit noch nicht beantwortet habe.

Wie hast du dich am Vorabend des Marathons gefühlt?
Als ich am Vorabend am Teammeeting war und ich der einzige weisse Läufer im Raum war, da bekam ich ein mulmiges Gefühl. Mir wurde unmissverständlich klar gemacht, dass die Strecke wohl so «langsam» sein muss, dass nur ein Greenhorn sich zutraut diese Limite in Paris zu laufen. Es versteht sich von selbst, dass es Situationskomik war, als ich mich traute, diese Frage meinem Betreuer zu stellen.

Stimmt es, dass du mit einem E-Bike an den Start des Marathons gefahren bist?
Ja, diese Episode ist tatsächlich wahr. Hätte ich bereits dann gewusst, dass meine Reserve auf die Limite 26 Sekunden betragen würde, hätte ich ein Velo ohne elektrischen Antrieb genommen.

Wie hast du dich beim Einlaufen gefühlt?
Ich war nervös, aber irgendwie gleichzeitig auch relaxed. Die Stimmung am Morgen auf der Champs-Élysées war phänomenal. Ich wärmte mich mitten auf dem schönsten Boulevard der Welt auf, mit Blick Richtung Arc de Triomphe, es hatte etwas Magisches an sich. Das ist eines der eindrücklichsten Bilder, die ich vom Marathon abgespeichert habe.

Welche Erinnerungen hast du an das Rennen?
Bei Kilometer 35 war ich ziemlich im Delirium. Es folgte die unbarmherzige Steigung von ca. 40 Höhenmetern bis Kilometer 40. Ich nahm nicht mehr viel war, der Blick war bereits eng und ich versuchte so gut als möglich die Fersen meines Weggefährten zu halten. Auf einmal hatte ich das Gefühl auf dem Boden «Go Chlai» gelesen zu haben. Ich machte mir beinahe ein wenig Sorgen, dass ich am Halluzinieren bin. Als dann 20 Meter später nochmals «Go Chlai» mit Strassenmalkreise am Boden geschrieben stand, da war ich mir sicher, dass ich noch bei Sinnen war und ich auf die besten Fans der Welt zählen durfte!

Und sonst noch?
Ca. bei Kilometer 15 hatte es einen Zoo. Da ragte ein riesiger Affenfelsen in die Höhe.

Wie hast du die Stunden nach dem Marathon verbracht?
Als erstes musste ich in die Dopingkontrolle. Nach gefühlt 15 Orangina (vom Veranstalter zur Verfügung gestellt) und 5 Branchlis (zum Glück habe ich immer einen Hamstervorrat in meiner Sporttasche) konnte ich meine Dopingprobe abgeben. Da ich schon genug Velo gefahren bin an diesem Tag, spazierte ich in Richtung Hotel zurück. Auf dem Weg zum Hotel gab es Pizza und Cola.  

Wie schlimm war der Muskelkater am Tag nach dem Lauf?
Zu meinem Erstaunen hatte ich praktisch keinen Muskelkater in der Wade. Am meisten Schmerzen hatte ich im vorderen Oberschenkel zu beklagen. Den Kinderwagen konnte ich noch zum Montmarte hinauftragen, ohne eine Zerrung zu riskieren. Hinunter musste ich dann mehr Vorsicht walten lassen.

Wie ging es im Training weiter?
Nach dem Marathon gönnte ich mir zwei sehr lockere Wochen. Da ich unbedingt an die 10 Mila-Staffel in Schweden wollte, machte ich zwei Wochen nach dem Marathon ein Quertraining. Nach 15 Minuten tat mir der Fuss weh...

Hast du keine Angst gehabt, dass du einen Misstritt machen könntest?
Doch! Aber die OL-Leidenschaft war stärker als die Vernunft. Es gibt zum Glück Tape!

Was bleibt von der 10 Mila in Erinnerung?
Der sechste Rang mit Tyrving war ein schöner Erfolg. Aber ich muss zugeben, dass es ein Stich in mein Sprinter-Herz war, als mich Olli Ojanaho auf der Zielgeraden stehen liess. Das ist wohl der ultimative Beweis, dass ich Marathonläufer geworden bin und das «Sprinter-Dasein» vorbei ist.

Weiter lief es am GP Bern. Wie war das Rennen?
Schnäu!

Und wie war die Halbmarathon-EM in Rom?
Es war eine spannende Erfahrung. Mir wurde gesagt, dass das Rennen gemächlich angegangen würde. Denkste! Hätten die italienischen Fussballer nur halb so viel Enthusiasmus gezeigt, wie das italienische Halbmarathon-Team, die Schweizer Fussballnati wäre deutlich mehr ins Schwitzen gekommen. Mir wurden die Limiten bei einem so schnellen Rennen aufgezeigt. Der regnerische Sommer in der Schweiz half bei der Akklimatisation auch nicht weiter. Ich fand es sehr warm!

Was bleibt dir von Rom in Erinnerung?
Stau, Touristen und die Tatsache, dass nicht nur im OL, sondern auch bei der Leichtathletik, die Schweiz die stimmungsvollsten Fans am Streckenrand hat.

Du bist seit 3 Wochen im Engadin am Trainieren. Gefällt dir die Runde um den Flughafen in Samedan besser als in Belp?
Die Aussicht ist besser. Doch es windet viel mehr als in Belp und das bereits am Morgen. Es hat aber weniger Autos als in Belp, das ist positiv. Landet ein Helikopter, kann er ein Rotlicht auslösen, das ist nicht ideal. Bisher ist mir das zum Glück nie passiert. Würden in Bern 88 Millionen Franken in den Umbau des Flughafens investiert werden, würde ich mehr erwarten als ein Schafszaun rund um den Flughafen und ein Zelt als Hangar. Diese Geschichte regt immerhin meine Hirnzellen zum Nachdenken an…

Und nun die alles entscheidende Frage: Wirst du dir nach den Spielen ein Olympia-Tattoo stechen lassen?
Nein! Man kann mit mir auch keine Wetten darüber abschliessen.

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