Una grande festa!

Kurz vor der EM machte mich eine Sache nervös.  Auf die Frage, ob die Vorbereitung optimal verlaufen sei, antwortete ich den Journalisten schlicht und knapp mit einem ja. Doch warum sollte mich das nervös machen?
Ein Jahr zuvor an der WM in Estland blieb ich, nach vermeintlich optimaler Vorbereitung, ohne Medaille. Vor der EM hatte ich nun wieder das Gefühl, dass eine nahezu perfekte Vorbereitung hinter mir lag. Ich fragte mich, ob die Vorbereitung wirklich gut genug war, oder ob ich mir das nur einbilde! Was, wenn es trotz reibungsloser Vorbereitung wieder nicht funktionieren würde?

Meinen ersten Auftritt an der EM würde ich als sehr souverän bezeichnen. Viel zu gewinnen gibt es in einer Sprint-Qualifikation nicht und dennoch muss die Arbeit sauber erledigt werden. Ich liess mich auf keine Spielereien ein, startete offensiv und zog bis zum Schluss durch.

Die Uhren werden beim Finale bekanntlich wieder auf null gestellt. 15 Minuten volle Konzentration waren gefragt und zwar vom ersten Meter an! Um den Start nicht zu verschlafen, versuche ich mich jeweils so richtig zu pushen. Mehrfach wurde ich auf meine «Zuckungen» vor dem Start angesprochen und gefragt, ob das wirklich ohne «härteren Stoff» möglich sei. Ich gebe zu, meine mentale Aktivierung vor dem Start mag komisch aussehen, aber für mich scheint sie zu funktionieren! Hätte ich mehr Talent, ich würde am Start ganz lässig in die Kamera lächeln…

Lächeln konnte ich dafür eine Viertelstunde später im Ziel! Nach 4.1 Kilometer durch die Altstadt von Mendrisio kreuzten Daniel Hubmann und ich auf die Sekunde genau die Ziellinie. Doppelsieg vor Heimpublikum! Da hätte ein Hollywood-Drehbuchautor wohl kaum ein besseres Ende hinbekommen! Es war ein genialer Start in die Heim-EM. Geteilte Freude ist bekanntlich doppelte Freude!

Am Ruhetag stellte ich einmal mehr fest, dass ein Stadt-OL und ein OL im Wald eigentlich zwei unterschiedliche Sportarten sind. 25 Minuten lang knorzte ich in einem steilen Tessiner Graben umher, um meine Geländegängigkeit wieder auf Vordermann zu bringen. Nichts, aber auch gar nichts war dem Sprint vom Vortag in irgendeiner Weise ähnlich.

In Carona lief ich eine solide Qualifikation über die Mitteldistanz. Meine weisse Weste in Qualifikationsläufen konnte ich einmal mehr wahren.
Von der Bahnanlage und einigen Postenstandorten der Qualifikation wurde ich überrascht. Die Bahn führte in extrem steile und zeitweise auch in sehr detailarme Hänge. Die Schwierigkeit bestand darin, ohne vermeintliche Objekte, eine klare Anlaufstrategie zum Posten zu definieren. Gleich zweimal machte ich den Fehler und lief planlos in den Hang. Prompt suchte ich die Posten und liess mich dadurch stressen. Die Qualifikation war nie in Gefahr. Aber ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte ein gutes Gefühl fürs Finale mitgenommen.

Wir hatten viele Trainings im Tessin absolviert. Bei gewissen Wäldern wussten wir genau, welchem EM-Wald sie relevant waren. Wir glaubten aber auch, dass es keinen Wald im Tessin gab, der die Charakteristika des Monte San Giorgio aufwies. Anhand der alten Karte konnten wir uns auf die Topographie einstellen. Doch wie die Vegetation aussehen würde, blieb uns ein Rätsel. Unsere Annahme, dass es viel Gestrüpp und eher dichter Wald sein würde, wurde bewahrheitet. Die dichte Vegetation erschwerte das Orientieren in den teils diffusen Hängen. Die tiefen und rutschigen Gräben zehrten physisch an den Kräften.
An diesem Tag gelang mir ein super Mix aus angriffigem Laufen und investieren ins Kartenlesen. Einzig zu den Posten 1 und 8 beherrschte ich das Zusammenspiel nicht optimal. Zu Posten 1 investierte ich wohl zu viel in die Sicherheitsroute. Wobei ich anfügen muss, dass ein ruhiger, sauberer Einstieg nie eine schlechte Wahl ist. Dieses Investment hatte sich bis spätestens Posten 4 voll und ganz ausbezahlt. Zu Posten 8 dann das Gegenteil. Da lief ich zu aggressiv, interpretierte auf halber Route eine Trockenrinne als Mulde und lief ohne genauen Kompasseinsatz zu weit nach rechts im Hang.
Bei der Zuschauerpassage vernahm ich, dass ich in Führung lag. Für kurze Zeit schweiften meine Gedanken ab. Rechtzeitig war ich wieder auf der Karte und erwischte eine gute Linie im Gelände auf der Route zu Posten 14. Zu Posten 18, welcher die letzte Schwierigkeit darstellte, packte ich meine ganze Routine aus und lief einmal mehr eine simple Route und führte diese präzise aus.
Im Ziel hörte ich, dass es wohl zum Sieg reichen würde. Die folgenden Minuten auf dem Leader-Stuhl konnte ich einfach geniessen! Es wurde sogar noch besser. Florian Howald preschte auf Rang zwei vor. Doppelsieg für die Schweiz! Das EM- Märchen ging in die nächste Runde!
Pressekonferenz (Besonders sehenswert ab 00:40, wo ich herumposaune, dass ich mich am besten auf die Langdistanz vorbereitet habe…)

Nach zwei Ruhetagen wartete ein happiges Schlussbouquet auf mich. Am Samstagabend starteten wir zur Staffel und am Sonntagmittag nahm ich die Langdistanz unter die Füsse! Rein statistisch gesehen waren keine Medaillen mehr vorgesehen für mich. In der Langdistanz stieg ich bisher an Titelkämpfen noch nie aufs Podest und in der Staffel war Schweiz 2 in den letzten drei EM-Staffeln Schweiz 1 jeweils mindestens eine Nasenlänge voraus. Da ich mit Florian Howald und Daniel Hubmann für Schweiz 1 vorgesehen war, zählten wir bei den Insidern wohl nicht zu den Topfavoriten.
Als ich mit der Spitze auf die zweite Strecke geschickt wurde, war ich richtig nervös. Nach zweimal Einzelgold, wollte ich die Staffel auf keinen Fall vermasseln. Normalerweise legt sich die Nervosität sobald ich die Karte in der Hand halte. Doch dieses Mal konnte ich die Nervosität während dem Lauf nicht abschütteln. Ich fühlte mich wie gehemmt.
Auf der Schlussschlaufe gab es zu meinen Ungunsten noch eine entscheidende Zäsur. Ich musste die längere Gabelungsvariante anlaufen und zögerte kurz vor dem Posten ein wenig. Die Hypothek von 25 Sekunden, welche ich Daniel Hubmann auf die Schlussstrecke mitgab, stellte sich als entscheidend heraus. Trotz beherztem Auftritt konnte er die Lücke nie ganz schliessen. Im Ziel freuten wir uns über Silber, nach drei guten Leistungen!

Endlich ist sie da! Meine lang ersehnte Medaille über die Langdistanz! In den letzten Jahren kam ich der Medaille immer näher, klappen wollte es bis anhin noch nicht.
Doch nun bekam ich es auf die Reihe. Grundlage der Medaille waren die richtigen Routenwahlentscheide. Im Tessin hatte ich ein gutes Gespür für die schnellen Routen. Nicht erst am EM-Lauf selber. Bereits an den Testläufen und in den Trainingslagern hatte ich oftmals ein gutes Händchen. Die Präzision auf der 1:15000er Karte wurde mir schon so oft zum Verhängnis und war eine meiner grossen Schwächen über die Langdistanz. Mit zahlreichen Trainings auf 1:15000er Karten versuchte ich dem Problem Herr zu werden. Dieses Mal vermisste ich die letzte Präzision nur zu Posten 25. Ich rannte knapp am Felsband vorbei und schon war eine Suchaktion von zwei Minuten die Folge!
Es reichte trotz dem Fehler zur Silbermedaille. Es war ein genialer Abschluss einer äusserst erfolgreichen Woche, für mich und für das ganze Schweizer Team.

Ich möchte einen grossen Dank aussprechen den Organisatoren und allen Helfern, die diese EM ermöglich haben. Ihr habt uns fordernde Wettkämpfe geboten, stimmungsvolle Arenen aufgebaut und spannende Fernsehübertragungen ermöglicht. Und natürlich möchte ich allen Fans, die mit uns mitgefiebert haben ein grosses Merci aussprechen! Dank euch durfte ich eine Woche voller Emotionen erleben!

Fotos: Rémy Steinegger, Kurt Ruedisueli, Marco Garbani, International Orienteering Federation

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