Saisonrückblick: Weltmeisterschaft

Mit etwas Abstand blicke ich auf die erfolgreichste WM in meiner Karriere zurück. Zwei Gold- und eine Silbermedaille konnte ich an der Heim-WM in Flims-Laax gewinnen. Ein grosser Dank gebührt meiner Entourage, die mich auf dem Weg an die Heim-WM begleitet hat und mir ermöglichte, eine fantastische WM-Woche erleben zu dürfen!

Der Startschuss zur Heim-WM fiel für mich im Sommer 2020. In zahlreichen Trainingslagern im 2021 und 2022 schnupperten wir WM-Luft. Omnipräsent wurde die WM so richtig in diesem Jahr. Das Training, die Wettkämpfe: Alles war auf die WM-Woche in Flims-Laax ausgerichtet. Die Wettkämpfe schienen lange Zeit in weiter Ferne. Doch plötzlich war Juli und es gab es kein Zurück mehr!


Rückblende: Im Winter schrieb ich eine Liste, was ich beherrschen und noch unternehmen muss, um an der WM erfolgreich sein zu können. Hinter viele Punkte konnte ich bereits ein Häkchen setzen. Es zeigte sich aber auch, dass die noch offenen Punkte einiges an Investment benötigen würden, um den gewünschten Effekt zu erzielen.  
Ein offener Punkt war das Thema «Langdistanz». Mit meinem persönlichen Coach habe ich mich mehrfach darüber unterhalten, was es zu unternehmen galt. Wir kamen zum Schluss, dass ich bis zur WM noch mehr Erfahrung in dieser Disziplin sammeln musste. Dies aus dem Grund, dass ich 2022 faktisch keinen einzigen nennenswerten Langdistanzwettkampf absolviert hatte (krank an der EM, verletzt am Weltcupfinale und vorher wurde nur gesprintet).
Wir definierten, dass ich im Minimum pro Monat eine Langdistanz im Wettkampftempo laufen sollte. Dass wir uns im physischen Bereich damit nahe am Limit bewegten, war uns bewusst. Schliesslich war es mein Ziel, in der WM-Woche in Top-Form zu sein und nicht bereits vorher das Pulver verschossen zu haben.
Die Trainingssteuerung war mit diesem Trainingsreiz nicht trivial. Doch mein Coach Daniel Klauser hat das ausgezeichnet hinbekommen. Dani schreibt mir die Trainingspläne seit 20 Jahren und er weiss mittlerweile sehr gut, was er mir zumuten kann und was nicht. Insgesamt absolvierte ich also von Mitte Februar bis Mitte Juni dieses Jahres zehn Langdistanz-Wettkämpfe und Trainings. Dies war sicherlich der wichtigste Mosaikstein auf dem Weg zur Langdistanzmedaille.

Ein weiterer offener Punkt auf meiner Liste war der Umgang mit der Kompasslupe. Ich laufe zu fast 100% mit der Lupe. Dabei spielt der Massstab ob 1:10000 oder 1:15000 keine Rolle. Mit der Lupe kann ich mir die Objekte besser merken und laufe präziser. Doch das Angewiesen sein auf die Lupe bringt auch ein Problem mit sich. Wenn es regnet, beschlägt die Lupe und es bilden sich Tropfen auf der Lupe, welche eine klare Sicht auf die Karte verunmöglichen. Da ich nicht dem Wettergott das Glück überlassen wollte, ob ich die Lupe am wichtigsten Wettkampf des Jahres verwenden kann oder nicht, suchte ich mit Dani Klauser nach einer Lösung. Dani fand eine Firma, die spezialisiert ist auf Beschichtungen. Wir liessen einige Lupen mit verschiedenen wasserabweisenden Substanzen beschichten und testeten, welche das beste Resultat lieferte. Die Resultate waren gut, aber nicht perfekt. Für mein Selbstvertrauen war es aber ungemein wertvoll. Im Vorfeld der WM befasste ich mich mit dem Wetterbericht so intensiv, wie auch sonst im Alltag: Fünf Minuten nach der Durchsage der Wettervorhersage hatte ich sie vergessen…

Als ich nach fünf Stunden Quarantäne Richtung Vorstart der Langdistanz lief und es leichte Tropfen regnete, da zogen sich meine Mundwinkel leicht nach oben. Ein erstes Gefühl von «alles richtig gemacht» in der Vorbereitung beschlich mich. Dieses Gefühl nahm ich mit ins Langdistanzrennen und machte auch während dem Rennen beinahe alles richtig. Ich zeigte ein beherztes Rennen und es zeichnete sich ein Kopf an Kopf Duell mit Kasper Fosser ab. Aus Erzählungen ist mir bekannt, dass ein Raunen durch die WM-Zuschauertribüne ging, als ich bei der entscheidenden Routenwahl am Ende des Rennens auf die falsche Variante einbog. Mir war unterwegs natürlich nicht bewusst, dass ich auf die langsame Variante einbog und ich kämpfte bis zum letzten Meter um die Goldmedaille! Als ich ins Ziel kam und von der Silbermedaille vernahm, war ich sehr zufrieden! Ich hatte einen Top-Lauf und war glücklich, dass mir diese Leistung, am wichtigsten Langdistanzrennen meiner Karriere, glückte. Ich glaube, dass diese Leistung an einem anderen Tag auch für Gold gereicht hätte. Doch an diesem war Kasper Fosser noch einen Tick besser. Dies galt es neidlos anzuerkennen und seiner Leistung Respekt zu zollen. 
Das Spezielle im Ziel war, dass ich das Gefühl hatte, glücklicher zu sein als die meisten Fans. Für viele Fans war es nach 80 Minuten mitfiebern ein Dämpfer, dass ich die falsche Route nahm und damit nur «Silber gewann» oder anders gesagt «Gold verloren» hatte.
Im Ziel musste ich – meiner Meinung nach – zu viele Male erklären, dass ich nicht Gold verloren hatte und mich aufrichtig über diese Silbermedaille freute.
Meine Lockerheit, meine Freude über diese Silbermedaille, gepaart mit dem nötigen Biss war ein entscheidender Faktor, dass ich für die Mitteldistanz und die Staffel die richtige Einstellung fand.

1500 Meter Downhill während dem Langdistanzrennen waren für meine Beine jedoch zu viel des Guten. Die ersten Schritte am Tag nach der Silbermedaille fühlten sich schrecklich an. Den Ruhetag nutze ich, um einen klaren Kopf zu bekommen, die Beine zu lockern und mich auf die nächsten Rennen vorzubereiten. Beim lockeren Jogging wäre mir meine Mutter (ich habe grossen Respekt vor ihrer Fitness und möchte diese keinesfalls Kleinreden) um die Ohren gesprungen, so tief sass die Anstrengung der Langdistanz noch in den Knochen (respektive Muskeln). Das Gefühl, das ich beim Einlaufen vor der Mitteldistanz hatte, wünsche ich niemandem vor einem WM-Finale. Die Beine waren noch richtig schwer und ich musste mir innerlich einen Schubs geben, um überhaupt mit einem leichten «Jöggerlen» zu beginnen. Ich denke, vor 10 Jahren wäre ich an diesem Gefühl zerbrochen und hätte nicht die Abgeklärtheit gehabt, mich auf das zu konzentrieren, was ich in diesem Moment effektiv beeinflussen kann.  
Während dem Rennen stellte sich physisch nie ein Top-Gefühl ein. Das mag wohl auch einfach daran gelegen haben, dass ich von Beginn an sehr schnell das Limit fand und sich das Laufen am Limit per se nun mal nicht «angenehm» anfühlen sollte. Die Posten erblickte ich dort, wo ich sie erwartete. «Wie auf Schienen» wurde zum geflügelten Sprichwort für meinen Lauf. Ich war im Flow und liess bis zum Zieleinlauf keine störenden Gedanken zu.
Dieser eine Moment als ein Zuschauer zu Beginn des Zieleinlaufs reinbrüllte: «Du gwinnsch Gold!» war so richtig krass. Ich war 38 Minuten allein am absoluten Limit und voll fokussiert unterwegs und innert Sekundenfrist änderte der Fokus komplett. Eine regelrechte Euphoriewelle erwischte mich! Der Zieleinlauf vor Familie, Freunden und Fans zu geniessen – fantastisch! Das war mit Bestimmtheit der emotionalste Moment dieser WM!

Normalerweise sind die Momente mit dem Staffel-Team die Emotionalsten. Doch die grössten Emotionen entstehen bei mir meistens aus dem Moment heraus. Bei der Staffel hatte ich während dem Lauf bereits 40 Minuten Zeit, um mich mit der Frage nach der Farbe der Medaille zu beschäftigen. Natürlich versuchte ich diese Frage zu verdrängen und mich voll auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Dies gelang mir auch sehr gut, da ich doch eine grosse Reserve von meinen Teamkollegen Daniel Hubmann und Joey Hadorn mit auf den Weg bekam, die mir eine grosse Sicherheit gab. Aus der Fassung brachte mich erst die Zuschauerpassage kurz vor Schluss. Erstmals wurde ich während dem Lauf nervös an dieser WM und dies führte prompt zu meinem einzigen Postenraumfehler in dieser WM-Woche. Die Reserve war aber genug gross, so dass einem triumphalen Zieleinlauf mit Dani und Joey nichts im Wege stand. Staffel-Weltmeister vor einer begeisternden Zuschauerkulisse: Die kühnsten Träume wurden wahr!  

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