Marathon-Debüt

Wem der Text zu lange erscheint (das kann in der schnelllebigen Zeit durchaus vorkommen), dem sei das Fazit nahegelegt:
Orientierungsläufer!

Es sind weder fehlende Motivation noch eine Verletzung, die dazu geführt haben, dass ich seit drei Monaten nicht mehr mit Karte und Kompass im Wald war.
Es ist die Lust, mich auf ein neues Abenteuer einzulassen. Dieses Abenteuer beinhaltet einen Sportarten- und Trainerwechsel und heisst Marathondebut am 7. April in Paris.

running.coach und Viktor Röthlin feilen an den Trainingsplänen und begleiten mich auch mal beim Training.

3 Minuten und 2 Sekunden pro Kilometer - nicht einmal, nicht zweimal, nein 42-mal am Stück muss in dieser Pace gelaufen werden, um eine Zeit von 2 Stunden 8 Minuten und 10 Sekunden zu erreichen. Dies ist die internationale Marathonlimite für die olympischen Spiele in Paris.
Ein wenig ungeheuer ist es mir schon, wenn ich diese Zeit als Ziel ausgebe. Die Zeit ist sehr ambitioniert. Allein der Fakt, dass in der Schweiz bisher erst zwei Läufer schneller als 2.08.10 waren, sollte mir schlaflose Nächte bescheren. Schlaflose Nächte sind aber bei den aktuellen Trainingsumfängen beinahe ausgeschlossen. Wenn mir jemand den Schlaf raubt, dann ist es unsere kleine Tochter, die seit Anfang Jahr dem Papi den Takt vorgibt und definiert, ab wann Zeit fürs Bett ist und wie lange noch Party gemacht wird, bevor man in süsse Träume fallen darf. So paradox es scheint: Die Geburt unserer Tochter ist nebst der erfolgreichen Heim-WM 2023 der Hauptgrund, warum ich Wald mit Asphalt, Karte mit Streckenplan und OL-Schuh mit Carbonschuh getauscht habe. Ich wollte möglichst viel Zeit zu Hause mit meinen beiden Frauen verbringen und daher wollte ich auf Trainingslager und zeitaufwendige Trainings verzichten. Von zu Hause aus loszurennen ist noch immer die zeitlich effizienteste Trainingsart. Auch wenn es merkwürdig klingt, insgesamt wende ich deutlich weniger Zeit auf fürs Marathontraining, als wenn ich mich auf die OL-Saison vorbereitet hätte.
Alles nur aufs Organisatorische abzuschieben wäre aber zu einfach. Da war auch der Reiz nach einer neuen Herausforderung. Diesen Reiz finde ich definitiv in meinem ambitionierten Ziel. Diese Ungewissheit, wohin die Reise geht, reizt mich ungemein. Sie hat Ähnlichkeit mit einem OL. Da weiss ich auch nach 14 Jahren Elitesport bei einem Wettkampf nur bedingt, was mich erwartet!

Seit November sind wir in Belp zuhause und fühlen uns sehr wohl am Fusse des Cholholz. Das Gürbetal und der Flughafen rund ums Belpmoos sind wie gemacht fürs Marathontraining. Es gibt zahlreiche flache, autoarme und asphaltierte Strassen. Das Wetter in den vergangenen Monaten war zudem sehr mild und eignete sich ideal für lange Dauerläufe. Wäre Belp auf 2000 Meter über Meer gelegen würde ich vom perfekten Ort fürs Marathontraining sprechen.

Doch reden wir wieder über Marathon. Meine Marathonerfahrung beschränkt sich auf den Swiss Alpine Marathon. Im weitesten Sinne vergleichbar mit dem, was mich am 7. April erwartet (ich musste lange Rennen und die Strecke betrug mehr als 42 km). Doch von der spezifischen Vorbereitung her gehe ich neue Wege. Seit Dezember ist mein Training vollkommen auf das Marathondebut ausgerichtet. Aktuell renne ich pro Woche rund 180 Kilometer und dabei sammeln sich gerade mal mickrige 800 Höhenmeter an. Normalerweise hatte ich 800 Höhenmeter bereits am Montagabend beisammen. Was viele erstaunen mag, die Anzahl Stunden Krafttraining pro Woche habe ich aber erhöht. Damit wollen wir Überlastungen am Bewegungsapparat vorbeugen. Bisher ist uns das erfolgreich gelungen und ich schaue auf eine problemlose Vorbereitung zurück. Was mich besonders freut, ist die Fortschritte in meinem Training zu sehen. Während es für mich in den letzten Jahren schwierig zu sagen war, ob ich einen besseren Formstand hatte als im Jahr zuvor, so sind die Fortschritte aktuell offensichtlich. Offensichtlich ist auch das Medieninteresse an diesem Projekt. Wiederum steht es in keinem Verhältnis zu dem, was ich beim Orientierungslauf erlebe. Ich gebe es zu, die Geschichte lässt sich gut erzählen und ich selber habe ja auch meine grosse Freude daran diese zu verbreiten (Marathoneuropameister Viktor Röthlin coacht OL-Weltmeister). Aber für mich als Orientierungsläufer ist es schon hart zu erleben, dass ein Weltcupsieg meist keine Zeile Wert ist und eine grosse Ankündigung in der Leichtathletik die Spalten der Zeitungen füllt.

Mein Marathondebut kommt in grossen Schritten näher. Bald ist der letzte harte Trainingsblock durch und dann gilt es Geduld zu haben und dem Körper Ruhe zu geben, so dass die Form sich entwickeln kann. Ich bin gespannt, wozu ich am 7. April fähig sein werde.

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